Stiftungs-Urkunde des Heiligen Ordens der Schiffbauer Latte zu Berlin

Verfasst im Jahr des Heils 1894,
den Gründern zur Erinnerung,
den Aktiven zur Erklärung,
den Zukünftigen zur Ermunterung.

   Als sine Majestät, unser hochseliger Kaiser Wilhelm I. nach dem schmachvollen Attentat am 3. Juni 1878 nach beinahe halbjähriger Abwesenheit gesund und geheilt in seine Haupt- und Residenzstadt Berlin am 5. Dezember desselben Jahres zurückzukehren geziehmt, war es das lebhafteste Bedürfnis jedes Deutschen, seine Majestät durch einen möglichst feierlichen Empfang die Abscheu des ganzen Volkes vor jener fluchwürdigen Tage deutscher Geschichte zu beweisen. Vornehmlich bemühte sich die Berliner Studentenschaft, bestehend aus den Studierenden der Universität, der Bau-, Berg-, Gewerbe-, u. Kunst-Akademie in einer bis dahin wohl noch nie dagewesenen völligen Einmütigkeit ihrer Freude über dieses große Ereignis durch feierliche Spalierbildung unter den Linden, durch einen Fackelzug von über 5000 Fackeln, durch Festkommersen und anderer patriotischer Kundgebungen einen möglichst großartigen Ausdruck zu verleihen.

Vertreter sämtlicher deutscher Hochschulen waren eingeladen und zu diesen zweitägigen Festlichkeiten erschienen.

Der Erfolg war ein überwältigender und die Wogen der Begrüßung wollten sich nach Verlauf der Festtage bei den Studierenden des Schiffbaues der Königlichen Gewerbe-Akademie nicht legen, so daß während der eifrigen Übungen in der Knoblematik, die am Tisch rechts in der Ecke der damaligen Schiffbauerfrühstückskneipe von Kahlberg gegenüber dem Rathaus in der Königsstaße stattfanden, im weiten Fortsetzung dieser weihevollen Tage und Stunden mit Fug und Recht einmütiglich beschlossen wurde. Insgesamt zogen die Anwesenden zu der im Hintergebäude der Klosterstraße 36 zwei Treppen hoch gelegenen Schiffbauersälen, um dort noch eventuell hamig bei der Arbeit sitzende Kollegen an die Pflichten des festlichen Tages zu erinnern.

Zwei Mann war die ganze Beute, die sich in beiden Sälen vorfand, und die sich willig in’s Schlepptau nehmen ließen. Die Sonne lockte ins Freie und 16 vergnügte Studiosen nahmen Besitz von einem Pferdbahnwagen, in dem nun noch 2 jungen, selbstredend hübschen Damen Platz gewährt wurde, da sie marineblaue Schleier trugen.

Der Kurs führte nach der Hasenhaide, wo jeder auf einer besonderen Kegelbahn sich seinen Jammer auskegeln sollte.

Doch Einsamkeit und Trennung war nie des Schiffbauers Sache, und bald saß im hinteren Zimmer der Unions-Brauerei die fröhliche Gesellschaft zusammen, um noch einen allerletzten Kaisertag durch Kommersieren zu feiern. In Kneipen präsidierte der damalige erste Vorsitzende des Ausschußes der Studierenden der Gewerbe-Akademie, Georg Brinkmann, während als Kontrapräside der Schreiber dieser Urkunde fungierte. Bald wuchs die Feststimmung immer höher, viel patriotische und kollegiale Reden wurden gehalten und noch mehr fidele Kommerslied er gesungen.

War’s unbestimmte Ahnung, war’s dunkler Drang, wer vermag die Geistergewalten zu ergründen, – irgend ein Vierdimensionaler hatte den Kontrapräsiden veranlaßt, seine beste Straklatte aus dem Schiffbauersaal mitgehen zu heißen und wie sie nun in den Händen des Kneipwarts zum Präsidenstab avanciert war, u. vor seinen Augen in schönem bogen auf- u. niedertanzte, schlug er dem Präses vor, diese Latte zum ewigen Gedächtnis an die hehernen Kaisertage an die Anwesenden zu verteilen, als Zeichen einmütiger Zusammengehörigkeit und ewiger Freundschaft. Der Präses hies seinen Vorschlag gut und vollzog in feierlicher Handlung die Verteilung, sowie die damit erfolgende Gründung des Ordens der Schiffbauer Latte, in welchen alle anwesenden aufgenommen wurden.

Die Aufnahme aber geschah folgendermaßen:

Vor dem Präses hintretend gelobte jeder Einzelne nach dessen eindringlicher Ansprache, der Schiffbauerzunft treu und ehrlich zu dienen, die Fahne dieser Wissenschaft unentwegt hochzuhalten, und in treuer Einmütigkeit zum Schutz und Trutz mit den übrigen Lattenbrüdern zu leben. Dann kniete er nieder und bei den nun folgenden Worten des Präses: Neige den Rücken zur strakenden Kurve, Jünger Poseidons, und empfange Zeichen u. Schlag der Heiligen Latte! Steh auf! Besser Ritter als Knecht, empfing der Aufzunehmende 3 Schläge mit der Latte vom Präses, so wie ein kleines Stück von dieser Latte. Alsdann nahm er aus den Händen des nebenstehenden Kontrapräsiden den 3 Liter haltenden Methkrug entgegen, um durch kräftigen Mannestrunk seine Willfähigkeit in alter deutscher Weise zu beweisen.

Die 16 Gründungsritter oder Lattenbrüder, wie sie sich nannten, waren folgende:

1. Abraham
2. Brinkmann
3. von Bülow
4. Funk
5. Fuß
6. Giese
7. Goeder
8. Gräber
9. Jahn
10. Lorenz
11. Nagel
12. Protzen
13. Scheibel
14. Schwarz
15. Walter
16. Werner

Der Ordensmeister, oder sonst ein Kollegium von mindestens 3 Rittern konnten neue Schiffbauer zu Rittern aufnehmen. Als äußeres Erkennungszeichen galt das Stück Latte, welches auf einem Spantenriß aufgeheftet war (wie nebenstehend angegeben ist), und welches bei Stiftungsfesten und anderen feierlichen Gelegenheiten im Knopfloch zu tragen war.

Die Form jedes Spantenrisses war den Einzelnen freigestellt, und wählt jeder seinen Idealriß. Wer bei feierlichen Gelegenheiten diesen Orden nicht bei sich hatte, mußte ein Faß Bier geben. Die Stiftungsfeste wurden monatlich gefeiert. Als Präsidenstab fungierte in Folge das Holzmodell eines Panzerbolzens.

Als Zirkel wurde folgendes Zeichen festgesezt:

So geschehen am 7. Dezember des Jahres 1878.
Kiel im November 1894
(gez.) Gräber mar. Bauinspektor
Diese getreue Darstellung meines lieben Freundes Gräber bestätige ich in allen Punkten.
(gez.) Brinkmann mar. Bauinspektor